Willibald Pirckheimervon Dieter Wuttke, BambergPirckheimer, Willibald, Jurist, Ratsherr, Kriegshauptmann, humanistischer Universalgelehrter, geb. 04. 12. 1470 Eichstätt, gest. 22. 12. 1530 Nürnberg, begraben auf dem Johannis-Friedhof.
Vater: Dr. Johannes P. (geb. um 1440, gest. 03. 05. 1501),
Jurist, Rat in bischöflichem und herzoglichem Dienst,
Humanist. Willibald Pirckheimer war der letzte männliche Nachkomme der seit dem 14. Jahrhundert durch Handel wohlhabend gewordenen Patrizierfamilie in Nürnberg. In den Nachkommen der Familien Geuder und Imhoff lebt sie bis heute fort. Die Elementarbildung erhielt Willibald durch seinen Vater teilweise auf Gesandtschaftsreisen, bei denen er den Vater begleiten durfte, von Pferd zu Pferd. Mit sechzehn Jahren kam er zur Ausbildung als Höfling in den Dienst des Bischofs von Eichstätt. Von 1488 bis 1495 studierte er Jurisprudenz und Artes an den Universitäten Padua und Pavia und erwarb eine für einen damaligen Deutschen ungewöhnliche Kompetenz im klass. Griechisch sowie die Grundlagen für seine enzyklopädischen Interessen. Im Herbst 1495 kehrte er auf Wunsch des Vaters ohne Promotion nach Nürnberg zurück. In Nürnberg konnten damals nämlich nur unpromovierte Juristen Mitglieder des regierenden Rates werden. Mit Unterbrechung von Ostern 1502 bis Ostern 1505 gehörte er von 1496 bis 1523 dem regierenden Rat an. Er diente ihm als juristischer Berater, Förderer des humanistisch orientierten Schulwesens, von 1499 bis 1502 im sog. Schweizerkrieg auch als (nicht sehr erfolgreicher) Kriegshauptmann. 1511 und 1512 z. B. leitete Gesandtschaften zu den Reichstagen nach Trier und Köln. Ab 1500 nahm König Maximilian I. Willibald unter seine Berater und Freunde auf und ernannte ihn, wie auch später Karl V., zum kaiserlichen Rat. Viele Jahre hindurch litt er unter schwerer Gicht. Willibald gehört mit Johannes Regiomontanus, Sebastian Brant, Conradus Celtis Protucius, Johannes Reuchlin und Philippus Melanchthon zu den deutschen Humanisten von europäischem Rang. Er genoß das besondere Ansehen des Erasmus von Rotterdam. Im Dunkelmännerstreit stand er auf der Seite Reuchlins. Wegen seiner satirischen Stellungnahmen insbesondere in der ihm schon damals zugeschriebenen Schrift Eccius dedolatus ('Der enteckte Eck') wurde er mit der gegen Martin Luther gerichteten Bulle vom 29. 09. 1520 vom Papst in den Bann getan, der ihm gegenüber aber 1521 gelöst wurde. Noch vor 1500 entwickelte sich zwischen ihm und Albrecht Dürer eine enge lebenslange Freundschaft. Durch Dürer ist Willibalds Antlitz der Nachwelt überliefert. Die umfangreichen Teilausgaben seiner Werke im 17. Jh. (s. Werkverzeichnis) zeugen von der nicht mehr abreißenden humanistischen Kontinuität, die seinen Namen präsent hielt. Willibald besaß eine für damalige Zeiten große Gelehrtenbibliothek, deren Grundstock sein Großvater Hans (geb. zwischen 1410 und 1415, gest. 1492) und sein Vater geschaffen hatten. Größere Teile werden heute von der British Library in London und der Stadtbibliothek in Nürnberg, der ältesten ihrer Art in Deutschland, verwahrt, Einzelstücke liegen verstreut in vielen Bibliothek der Welt. Nach seiner 1495 erfolgten Rückkehr aus Italien wurde Willibald schnell zu einem maßgeblichen Mitglied des nürnbergischen Humanistenkreises. Dessen integratives und universalistisches Programm haben Celtis und Dürer in dem berühmten Philosophia-Holzschnitt vorgestellt, der dem damals in Nürnberg mit Willibalds Hilfe als Mäzen gedruckten Hauptwerk des Celtis, den Amores, vorangestellt ist. Die drei Mottosprüche, die W. im Laufe seines Lebens gewählt hat, "Initium sapientiae timor Domini" ('Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn'), "Vivitur ingenio, caetera mortis erunt" ('Man lebt durch den Geist, alles andere ist sterblich') und "Virtus interire nequit" ('Tugend kann nicht sterben') sowie seine vielfältigen schriftstellerischen, geistes- und naturwissenschaftlichen und theologischen Interessen entsprechen diesem Programm vollkommen. Antischolastisch dort, wo Scholastik sinnvolles Fragen nicht mehr förderte, und grundsätzlich antimaterialistisch eingestellt ging es der humanistischen Bildungsbewegung im Kontakt mit der Antike, auch der christlichen, als Richtschnur und Katalysator um eine kulturelle Erneuerung in allen Bereichen der Künste und Wissenschaften, der öffentlichen und privaten Moral sowie der Religion. Willibald brachte es als Prosa-Schriftsteller und Versdichter (Schweizerkrieg, Lob der Gicht, Verteidigung Reuchlins, Der enteckte Eck, Widmungsbriefe, Elegie auf den Tod Dürers usw.) in lateinischer Sprache zu eigenständigen qualitätvollen Leistungen. Er förderte leidenschaftlich die Kenntnis griechischer Schriftsteller und Kirchenväter, indem er sie ins Lateinische, z. T. auch ins Deutsche übersetzte oder wie im Falle der Geographie des Ptolemaios kritisch bearbeitete (Lukian, Neilos, Xenophon, Plutarch, Johannes Damaskenos, Gregor von Nazianz usw.). Mit dem maximilianeischen Humanistenkreis faszinierten ihn die orientalischen Ursprünge der Weisheit (Horapollon-Übersetzung). Im Verein mit Dürer und anderen half er, eine neue Bildsprache zu entwickeln, die im Triumphzug und in der Ehrenpforte Kaiser Maximilians sichtbare Gestalt gewann. Auf kritischem Vergleich mit antiken Angaben beruhten sein Deutschland-Führer und sein Handbüchlein der Münzkunde. Den Mittelpunkt seines Interesses bildete immer die Frage nach dem rechten Glauben. Im Zuge der reformatorischen Auseinandersetzungen blieb er bei aller Sympathie für Luthers Anliegen und Lehre doch beim katholischen Bekenntnis. Er beriet und unterstützte seine Äbtissin-Schwester Caritas in ihrem Bemühen um den Erhalt des Nürnberger Klarissenklosters nachhaltig. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, daß er eine eigenständige humanistische Theologie entwickelte, die man mit Manfred Scharoun auf die Formel bringen kann: "Nec Lutheranus neque Eckianus, sed christianus sum" ('Ich bin weder Lutheraner noch Eckianer, sondern Christ'). Dem Ideal des Bürger-Humanisten zugetan war er der Meinung, daß er dem Gemeinwohl am besten dienen könnte, wenn er auf der Grundlage der Heiligen Schrift sich der Wahrheit allein verpflichtete. Werkverzeichnisse s. J. Benzing: Humanismus in Nürnberg 1500-1540. Eine Liste der Druckschriften in: Albrecht Dürers Umwelt, 1971, S. 255-299; E. Böcking: W. P.-Bibliographie, hsl. in BNU Strasbourg; Eckert - Imhoff s. u.; K. B. Glock: W. P.-Bibliographie, 1970; N. Holzberg: W. P., 1981 (dazu Germanistik 23, 1982, Nr. 6002; Gnomon 59, 1987, S. 498-504; GGA 240, 1988, S. 133-143); P. O. Kristeller: Iter Italicum s. A cumulative index to volume I - VI of P. O. Kristellers Iter Italicum, 1997; Reimann s. u. Editionen: W. P.: Theatrum Virtutis et Honoris, 1606; Opera Politica, Historica, Philologica et Epistolica, 1610, 2. Aufl. 1665, Nachdruck 1969; Documenta literaria ed. J. Heumann, 1758; Schweizerkrieg [und Autobiographie] ed. K. Rück, 1895, ed. W. Schiel, 1988; K. Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus, in der Allegorie der Renaissance, 1915 (= Jb. d. kunsthist. Slgn d. Allerhöchsten Kaiserhauses 32, H. 1), hier S. 171ff. (Teiledition von P.s Übersetzung der "Hieroglyphica" des Horapollon, von Dürer illustriert); Dürer, Schriftlicher Nachlaß ed. H. Rupprich, Bd. I-III, 1956-1969; H. Rupprich: P.s Elegie auf den Tod Dürers in: Abh. d. österr. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1956, Nr. 9, S. 136-150; D. Wuttke: Ein unbekannter Brief W. P.s in: Archiv f. Kulturgesch. 50 (1968) S. 294-299; Eckius dedolatus ed. H. Holzberg, 1983; Apologia seu Podagrae Laus übertragen von W. Kirsch, 1988; Briefwechsel, Bde. I-VII, ed. E. Reicke, D. Wuttke, H. Scheible, 1940-2009. Literaturverzeichnisse s. M. Mende: Dürer-Bibliographie, 1971; K. Schottenloher: Bibliographie zu deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517-1585, Bd. II, V, VII, 1956-1966.
Forschungsliteratur (in Auswahl): Porträts: Panofsky 1948; Angelica Dülberg: Privatporträts, 1990; Eckert-Imhoff; Wuttke 1994. Caritas Pirckheimervon Dieter Wuttke, Bamberg
Pirckheimer, Caritas, Nonne des Klarissenordens,
Äbtissin, Taufname Barbara, Ordensname Caritas ab 1485
belegt. Geb. 21. 03. 1467 Eichstätt, gest. 19. 08. 1532
Nürnberg, begraben Klarakirche Nürnberg. Caritas Pirckheimer war das älteste von zwölf Kindern. Von ihren drei Brüdern überlebte nur Willibald. Sechs ihrer Schwestern wurden Klosterfrauen (zwei davon auch Äbtissin), eine verstarb früh, nur Juliana ging eine Ehe ein (mit Martin Geuder). Zunächst von ihrer gelehrten Großtante Katharina (gest. 1484) unterrichtet, trat sie 1479 zwölfjährig in das Nürnberger Klarissenkloster ein, wo sie bald durch besondere Lernfähigkeit und lateinische Sprachkompetenz auffiel. Nach der Ausbildung übernahm sie im Kloster Erziehungs- und Bildungsaufgaben sowie die Sorge für die Klosterbibliothek. Ab 1503 leitete sie das Kloster als Äbtissin. Zu Ostern 1529 konnte sie ihr fünfundzwanzigjähriges Äbtissin-Jubiläum und zugleich die fünfzigste Wiederkehr ihres Eintritts ins Kloster feiern. Vermittelt durch ihren Bruder Willibald wurde Caritas seit ca. 1500 dessen Humanisten-Freunden ein Begriff als eine Frau, die Gelehrsamkeit, sensible Geistigkeit und Moralität mit wahrer Frömmigkeit in idealer Einheit verbindet. Nach einer Andeutung in der Widmungsvorrede zu seiner Ausgabe der Werke der Roswitha von Gandersheim 1501 nobilitiert Conradus Celtis sie 1502 mit einer ihr gewidmeten Ode, in der er sie "höchste Zierde Deutschlands" nennt und eine bedeutungsvolle Beziehung zwischen ihrem Namen C. und dem Liebesbegriff herstellt, den er in seinem Hauptwerk, den 1502 in Nürnberg publizierten Amores entfaltet. Celtis folgend sind es vor allem Christoph Scheurl, Albrecht Dürer und Benedictus Chelidonius, Erasmus und der eigene Bruder, die durch Widmungen ihrem Namen als gesuchte Partnerin christlich-humanistischen Gesprächs einen besonderen Klang geben. Bei der Bildung ihrer geistigen Physiognomie hatten die Predigten der Franzikanerpatres Heinrich Vigilis und Stephan Fridolin, die sie mitschrieb und damit der Nachwelt zu erhalten half, hatte die Lektüre der Kirchenväter, insbesondere des Hieronymus, und der Umgang mit dem Propst von St. Lorenz, Dr. Sixtus Tucher, einen erheblichen Anteil. Sie war beteiligt an der Abfassung der Chronik ihres Klosters und an der Zusammenstellung eines Gebetbüchleins. Als eigentlichen 'Werke' kann man aber nur ihre Briefe und die unter dem Titel Denkwürdigkeiten versammelten Dokumente und Briefe ansehen, die die gedanklichen Grundlagen ihres erfolgreichen Kampfes um den Erhalt des Klarissenklosters zwischen 1524 und 28 bezeugen. Durch den Übertritt Nürnbergs zur Reformation war dessen Bestand äußerst gefährdet. In den Auseinandersetzungen bewies sie, was Gradlinigkeit, moralische Integrität, Versöhnlichkeit und mit tiefer kreativer Frömmigkeit verbundene Sprachkraft vermögen. Werkverzeichnis s. VD 16 (Verzeichnis der Drucke des 16. Jahrhunderts), Abt. I, Bd. 16, Nr. P2897-99; L. Kurras: C. P. in: Verfasser Lexikon 2. Aufl. VII (1989) Sp. 679-701. Editionen:
Forschungsliteratur (in Auswahl): Porträt: s. Caritas Pirckheimer 1467-1532 [Katalog].
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